Predigt von Pfarrer Daigeler zum Gründonnerstag 2025
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, wer das Heilige Land besucht – was hoffentlich einmal wieder möglich sein wird, der kommt an die heiligen Stätten des Lebens Jesu. Verschiedene Orte erinnern an seine Geburt, an seine Predigten und Wunder und auch an sein Leiden, Sterben und Auferstehen, das wir in diesen heiligen, drei Tagen feiern. An jedem dieser Orte befinden sich kleine Tafeln, auf denen eine passende Bibelstelle zu lesen ist.
Mich hat der Garten Getsemani tief beeindruckt. Man sieht dort alte Olivenbäume, die dem Ölberg seinen Namen geben. Man betet in der Kirche der Todesangst Christi. Und am Eingang zu diesem Ort steht ein knapper Satz aus dem Evangelium: „Da verließen ihn alle Jünger“ (Mt 26,56).
Dieser kurze Satz ist erschütternd. Aber er ist ehrlich, und die Offenheit, mit der die Evangelisten uns von der Schwäche der Apostel berichten, erstaunt. Unsere Kirche besteht aus Menschen, genauer aus Menschen, die mit Glauben auf den Ruf Jesu geantwortet haben: Priester und Laien, Frauen und Männer, Junge und Alte. Es sind Menschen, die bereit sind ihre Zeit und ihre Talente, ja etwas von ihrem Leben einzubringen, damit die Botschaft Jesu weitergesagt wird, damit seine Liebe konkret erfahrbar wird – ganz wie es der Herr mit der Fußwaschung seinen Jüngern aufgetragen hat. „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“, sagt Jesus nachdem er den Freunden die Füße gewaschen hat.
Diese konkreten Menschen sind keine „Übermenschen“. Der Glaube ist keine magische Formel, die uns vor allen Fehlern bewahrt. Wir bleiben schwache Menschen, wir bleiben Sünder. Kaum eine Szene im Evangelium benennt das so deutlich, wie der Satz: „da verließen ihn alle“.
Wenn wir heute den Gründonnerstag begehen und mit dem Abräumen der Altäre am Ende der Messfeier an den Weg Jesu zum Ölberg denken, wenn wir in den Betstunden an seine Verlassenheit im Garten Getsemani denken, dann ist das eine ernste Mahnung an uns. Keiner soll sich zu sicher sein. Welch große Versprechen machen Petrus und die anderen Apostel und wie sieht die Wirklichkeit aus… Und wie sieht das in meinem Leben aus? Gibt es nicht auch in meinem Herzen Lauheit und Trägheit? Wie stehe ich zu Jesus?
Gleichzeitig ist der Gründonnerstag ein großer Trost. Jesus weiß um all das, als er mit seinen Freunden das Letzte Abendmahl feiert. Und dennoch vertraut er ihnen seine ganze Liebe an. Er legt sich selbst, seinen Leib und sein Blut, in ihre Hände: „Esst und trinkt“, damit ihr Anteil an meiner Liebe habt. Und der Herr gibt den Aposteln den Auftrag, sein Werk weiterzuführen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Nicht irgendwo in der Theorie, nicht in einer erträumten Welt, nicht durch „erwünschte“ Menschen, nein, in die Hände konkreter, schwacher Menschen legt der Herr die Sakramente seiner Gegenwart.
Vieles im kirchlichen Leben ist im Wandel oder Umbruch. Manch einer sorgt sich, wie wird es weitergehen mit der Kirche und dem Glauben? Darum ist die Ehrlichkeit des Gründonnerstags wichtig. Jesus sammelte Menschen um sich durch seine Worte und durch die Zeichen, die er tat. Aber am Ende verließen ihn alle, außer ein paar treuen Frauen! Eine kleine Schar stand noch unter dem Kreuz.
Und doch hat der Herr mit diesen Menschen einen neuen Anfang gewagt am Ostertag. Die heiligen, drei Tage zeigen uns, wie nah beieinander Schwäche und Größe des Menschen liegen. Das macht uns demütig, aber es macht uns auch hoffnungsvoll. Wir sehen unsere Schwächen und wir brauchen sie nicht zu leugnen. Wir dürfen sie dem Heiland bringen, damit er uns aufrichtet und verzeiht. Christsein birgt immer die Chance des Neubeginns, denn der Herr gibt am Ende desselben Evangeliums gewissermaßen eine Antwort, seine Antwort: „Seid gewiss ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Amen.
17.04.2025, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler