Predigt von Pfarrer Daigeler zum 26. Sonntag im Jahreskreis B
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, das Fremdwort „Definition“ leitet sich ab vom lateinischen Wort „finis“, also „Grenze“. Um etwas zu definieren, also zu umschreiben, ziehen wir Grenzen, was unter die Definition fällt und was nicht. Das ist in vielerlei Hinsicht notwendig. Die gesellschaftlichen Diskussionen um „Identität“ zeugen davon. Wodurch gehöre ich zu einem bestimmten Volk oder einer bestimmten Gruppe? Für manche scheint sogar die Frage, wodurch gehöre ich zu einem bestimmten Geschlecht nicht mehr eindeutig definiert zu sein. Und wir könnten weitere Beispiele nennen.
Im Evangelium begegnet uns eine Diskussion der Jünger Jesu, ob jemand, der – wie sie sagen – in Jesu Namen Dämonen austreibt, dazu gehört oder nicht. Wir neigen heute eher dazu, Grenzen großzügig auszulegen. Ob jemand nun Kirchenmitglied ist oder nicht, warum soll er denn nicht Pate eines Kindes werden? Ob jemand nun katholisch ist oder nicht, warum soll er denn nicht zur Kommunion gehen dürfen? Ob sich jemand nun an bestimmte Gebote der Lebensführung hält, warum soll er denn nicht für die Kirche arbeiten können?
Nun gehen die Einschätzungen dieser Fragen hier in unserer Gottesdienstgemeinde vielleicht auseinander. Kann man sich denn nicht auf Jesus berufen, der doch die Strenge der Jünger mäßigt? „Hindert ihn nicht!“, sagte er.
Ja, Jesus warnt offenkundig vor vorschnellen Schlüssen. „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.“ Jesus fordert also ausdrücklich auf, dem anderen mit Wohlwollen zu begegnen, dem anderen zuerst einmal eine gute Absicht zu unterstellen. Schließlich kann ich den anderen überhaupt nur verstehen, wenn ich seine Absicht verstehe. Es ist immer wichtig, dass ich mich, bevor ich kritisiere, bemühe zu verstehen, was den anderen antreibt – auch wenn ich sein Handeln deswegen nicht immer gutheißen muss.
Dennoch ist das nicht alles, was wir heute im Evangelium hörten. Denn nur zwei Sätze weiter ist Jesus radikal. „Wenn dir deine Hand Ärgernis gibt, dann hau sie ab“ usw. Wenn wir diese Worte Jesu hinzunehmen, dann können wir nicht behaupten, er wäre für einen einfachen oder gar faulen Kompromiss. Hier geht es unmissverständlich um Entschiedenheit – Entschiedenheit in der Nachfolge und im Handeln.
Vielleicht schauen wir noch einmal in die Erste Lesung aus dem Buch Numeri. Beim Auszug aus Ägypten hatte Mose Gott um Hilfe gebeten, das Volk gut leiten zu können. Und Gott legt etwas von seinem Geist, mit dem er Mose beschenkt hat, auch auf 70 andere. Diese Ältesten sollen zusammen mit Mose das Volk leiten. Nun waren zwei Männer für diese Aufgabe ausgewählt worden – und damit offenbar für geeignet gehalten worden. Bei dem Einsetzungsgottesdienst sind sie aber nicht dabei. Trotzdem erhalten sie Gottes Geist. Josua will sie hindern, in diesem Geist zum Volk zu sprechen.
Im Zusammenklang wollen uns diese Worte sowohl vor einem zu engen wie auch vor einem zu weiten Verständnis bewahren. Es gibt unbestreitbar Menschen, die wahrhaft christlich handeln, ohne dass sie in unserem Mitgliederverzeichnis stehen. Aber es ist genauso wahr, dass die Weisung Christi sich schnell verflüchtigen würde, wenn sich nicht Menschen mit Einsatz und Entschiedenheit an die Kirche binden würden. Es gibt Wirken des Geistes auch durch den Menschen, die nicht durch amtliches Handeln der Kirche dazu bestellt sind. Aber es ist genauso wahr, dass dieses Handeln einseitig würde, wenn es nicht immer wieder rückgebunden würde an den Ursprung durch die sakramentalen Ämter der Kirche.
Die biblischen Lesungen dieses Sonntags fordern uns heraus. Sie würden fehlgedeutet, wenn einer sagte, wir bräuchten keine Definitionen. Wir brauchen sie, aber in dem Wissen, dass sie nie ausreichen, die ganze Wirklichkeit zu umschreiben. Und vor allem in dem Wissen, dass für uns Christen das wichtigste Kriterium für unsere Identität ist, ob einer „zu Christus gehört“. Amen.
29.09.2024, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler