logo pg liborius wagner Stadtlauringen

Predigt von Pfarrer Daigeler zum Jahresschluss 2024

Download Audiodatei der Predigt

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, in der Adventszeit drückte mir jemand einen Text von Alfred Delp (1907-1945) in die Hand. Dieser Jesuitenpater wurde wegen seiner aufrechten Haltung von den Nationalsozialisten eingesperrt und schließlich ums Leben gebracht. In einer Meditation über die Bedeutung des Advent schrieb er im Gefängnis: „Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.“

Wenn heute am letzten Tag des Kalenderjahres viele Menschen zurückblicken, dann fallen vielleicht manch „erschütternde“ Ereignisse besonders ins Gewicht. Das kann für die große Welt und ihre Nachrichten von Krieg und Terror in so vielen Ländern gelten, für vielfältige Nöte und Krisen. Das kann aber ebenso für mein kleines Leben gelten, wenn das vergangene Jahr vielleicht den Verlust eines geliebten Menschen gebracht hat, oder wenn ich selbst mit Krankheit, der Sorge um den Arbeitsplatz oder einem Streit in der Familie konfrontiert worden bin.

Es ist sicher wichtig, heute am Silvestertag darüber nachzuschauen in meinem je persönlichen Jahresrückblick. Freilich bin ich mir nicht sicher, ob Alfred Delp nur von solchen „Erschütterungen“ gesprochen hat. Er schreibt ja von einem „wach werden zu sich selbst“.

Was könnte das bedeuten? Erschütterungen können ja auch dazu führen, dass große Reden gehalten werden oder Demonstrationen veranstaltet werden. Alle sind „betroffen“, aber letztlich ändert sich nichts. Mit dem voranschreitenden Vergessen, kehrt man zur alten Tagesordnung zurück.

Wie Sie vielleicht wissen, war ich im Oktober ernsthaft krank. Natürlich bringt es einen zum Nachdenken, wenn man plötzlich ganz ausgebremst wird. Mich hat es dankbar gemacht für das Geschenk des Lebens, für die Gesundheit und Tatkraft, die wir manchmal ganz selbstverständlich nehmen, dankbar auch für die vielfältige Hilfe und Anteilnahme, die ich erfahren habe. Aber ich muss ehrlich gestehen, dass ich mich in den letzten Wochen auch manchmal über mich selbst geärgert habe. Ganz schnell sind manche gute Vorsätze wieder vergessen und man macht eben doch alles wieder so, wie man es immer gemacht hat…

Natürlich können wir uns Leben nicht neu erfinden. Das wäre eine naive Vorstellung, die letztlich an der menschlichen Wirklichkeit scheitern muss. Aber was könnte das heißen, „wach werden zu sich selbst“?

Ich meine zum einen, dass ich mir immer wieder ins Bewusstsein rufe: Ich habe Verantwortung. Nicht „die anderen“, nicht irgendwelche Institutionen, ich habe Verantwortung, dass sich etwas in meinem Leben verändert, dass es in unserer Welt Schritte zum Guten gibt. Gewiss braucht es dabei Zusammenarbeit, Koordination und gegenseitige Unterstützung, aber meinen Teil der Verantwortung kann ich nicht abgeben. Danach zu fragen, dient das, was wir Christen Gewissenserforschung nennen – sei es am Abend eines jeden Tages, sei es vor der Beichte. Habe ich das getan und eingesetzt, was ich tun konnte?

Ein Zweites könnte sein zu fragen: Was ist wirklich notwendig? Viel Unzufriedenheit entsteht ja daraus, dass unrealistische Erwartungen gepflegt werden. Aber was braucht es wirklich für das gute Leben? Ich glaube nicht, dass wir die „letzte Generation“ sind oder dass wir alles umbauen müssen. Aber ich bin überzeugt, dass wir alle „einen Gang zurückschalten“ müssen. Was braucht es wirklich an Konsum, an Veranstaltungen…? Und was kommt vielleicht manchmal zu kurz? Papst Franziskus lädt uns in seinem Schreiben zum Heiligen Jahr ausdrücklich ein, das Evangelium zur Hand zu nehmen und lesen. Oder ich denke gerade an die älteren Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen: Nehmen wir uns Zeit für das Gebet? Hier in unserer Kirche wird täglich der Rosenkranz gebetet. Das ist eine Gelegenheit, sich mit Maria auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Schließlich ein dritter Gedanke: Was gibt mir den Mut zu diesen Schritten? „Wach werden zu sich selbst“ könnte auch missverstanden werden, als ob es um eine Art „Selbstfindungskurs“ ginge. Der Jahresschluss fällt in die Weihnachtszeit. An diesem Fest feiern wir, dass Gott Mensch geworden ist. Das wahre Menschsein lernen wir von Jesus, der Mensch geworden ist. Er ist unser Vorbild als Christen. Er ist unser Ansporn. Wer ihm folgt, der findet die wahre Freude, dem wird Hoffnung für jeden Tag geschenkt. Er lässt uns immer neu beginnen, auch wenn wir manchmal mit unseren guten Vorsätzen scheitern. Dafür steht ja das Heilige Jahr, das wir begonnen haben: Mit Gottes Hilfe dürfen wir neu beginnen. Es zeigt uns aber auch, dass wir eine Verantwortung haben, uns an seiner Wegweisung zu orientieren. Dann werden wir „Pilger der Hoffnung“ sein. Amen.

31.12.2024, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler

­