Predigt von Pfarrer Daigeler zu Pfingsten
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, zu den populären Schlagworten unserer Gesellschaft gehört „diversity“. Das kann man mit „Vielfalt“ wiedergeben. Freilich ist der Begriff auch ein Programm, nicht selten sogar ein Kampfbegriff für bestimmte Vorstellungen von Mensch und Gesellschaft. Unbestreitbar ist, dass durch die gewachsene Mobilität des Einzelnen, sei es beruflich oder in der Freizeit, und ebenso durch die Zuwanderung in unser Land die Verschiedenheit von Lebensformen im Vergleich mit früheren Generationen gewachsen ist. Öffentlich wird das als positive Entwicklung angesehen. Wer das anfragt oder hinterfragt, gilt als reaktionär, rückständig oder gar als gefährlich.
Nun begegnet uns in der Ersten Lesung aus der Apostelgeschichte, die wir jedes Jahr am Pfingstfest hören, eine Vielfalt von Sprachen. Verschiedene Völker des Römischen Reiches werden da aufgezählt. Aus diesen Regionen sind Juden und interessierte Menschen zu einem Wallfahrtsfest nach Jerusalem gereist. Doch diese Lesung ist ambivalent. Ja, hier kann man Gottsuchende erkennen, Menschen, die sich auf den Weg machen, den Herrn anzubeten und in seiner Nähe Kraft zu schöpfen. Doch in gewisser Weise klingt hier auch die alttestamentliche Erzählung vom Turmbau zu Babel an. Die Verschiedenheit der Sprachen wird dort nicht als Bereicherung, sondern als Strafe vorgestellt, die für Verwirrung und Spaltung unter den Menschen sorgt.
Das eigentliche Ziel der Lesung ist darum auch nicht das Bewundern der Verschiedenheit, sondern das Staunen über das gemeinsame Verstehen der Worte, mit denen Petrus Zeugnis von Christus gibt. Woher kommt aber dieses Verstehen? Es ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Der Geist Jesu ist uns als Beistand gegeben. Und ist dazu nicht eine Art „Glücksbringer“, sondern: „Er wird euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“, wie es Jesus im Evangelium sagt.
Das gemeinsame Verstehen, die Einheit in der Kirche entsteht also durch den einen Glauben, durch den einen Herrn, an dessen Worte uns sein Geist erinnert. Damit das keine theoretische Behauptung bleibt, hat die Kirche – angefangen bei den Aposteln – vom Herrn ein Lehramt eingestiftet bekommen. Der Glaube ist nicht Bauchgefühl, er ist treue Verbundenheit mit dem einen Herrn. Darum haben die Hirten alles Reden und Tun der Kirche immer wieder an die Person Jesu, an seine Worte und sein Handeln rückzubinden.
Mir fiel das jüngst wieder bei einer Taufe auf. Eine Frau erzählte mir bei der anschließenden Begegnung, dass sie längere Zeit in Amerika gewesen sei. Am Heiligen Abend besuchte sie die katholische Messe. „Das war wie bei uns…“, sagte sie dann. Ja, das ist Einheit. So unterschiedlich die Sprachen sind, es ist die eine Messe, es ist das Gedächtnis des einen Herrn in seiner Kirche. Diese Einheit zu fördern, ist der Auftrag der Kirche, ist unser Auftrag.
Natürlich gibt es innerhalb dieser Einheit, wie der Apostel Paulus in der Zweiten Lesung sagte, „verschiedene Gnadengaben“ und „verschiedene Dienste“. So ist es auch in der Gemeinde. Es gibt – Gott sei Dank – unterschiedliche Talente und verschiedene Aufgaben.
Ja, Menschen sind verschieden, sie leben vielfältig. Das ist so, aber das ist noch kein Wert an sich. Erst wo die verschiedenen Talente und Begabungen zusammenklingen – im Sinne einer Symphonie, um ein musikalisches Bild zu nehmen – wird es zum Wert. Dieser Zusammenklang ist ein Geschenk des Geistes. Die Kirche ist der Raum für unsere Instrumente. Es braucht auch einen Dirigenten, der ersetzt kein Instrument und keinen Musiker. Aber ohne ihn gibt es Durcheinander statt Wohlklang. Doch der Dirigent ist nicht der Komponist, der Dirigent ist an die Noten, an die Partitur gebunden. Der Heilige Geist erinnert uns gleichsam an die Noten, die uns Jesus geschenkt hat, damit wir „zusammenklingen“. Und dieser Klang wird anziehend sein, damit die Welt an ihn, den einen Herrn und Erlöser, glaubt. Amen.
05.06.2022, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler