Predigt von Pfarrer Daigeler zum Kreuzfest
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, gerade weil es im Glauben um unsichtbare Güter geht, gibt es stets auch eine Sehnsucht nach dem Sichtbaren. Wir sind nun einmal Menschen mit Leib und Seele, darum hat die sinnenhafte Wahrnehmung der Welt eine große Bedeutung für uns: Sehen, Schmecken, Tasten… Die katholische Liturgie greift dieses natürliche Bedürfnis seit alters her auf. Unsere Kirchen bergen Bilder und Figuren, die das Leben Jesu und der Heiligen für uns veranschaulichen. Glocken- und Orgelklang, Weihwasser und Weihrauchduft berühren unsere Sinne und wollen uns die Größe und Schönheit Gottes ahnen lassen.
In diesem Zusammenhang begegnen uns auch die Reliquien, seien es Gebeine von Heiligen, Tücher, die sie berührt haben, oder eben – wie am heutigen Kreuzfest – Holzstücke vom Kreuz Christi oder Holzstücke, die zumindest mit diesem Kreuz in Berührung gebracht werden. Freilich haben Menschen unterschiedliche Zugänge zu solchen Reliquien. Die einen sind eher skeptisch, für die anderen spielen sie eine große Rolle und genießen hohe Verehrung. Früher jedenfalls war es für eine Kirche und Pfarrgemeinde eine große Ehre, ein Stück vom Kreuz Christi in der eigenen Mitte bergen zu dürfen. Wo dies der Fall war – wie hier in Fuchsstadt und Ballingshausen, wurde das Kreuzfest oft mit besonderer Feierlichkeit begangen.
Unabhängig von den Detailfragen, was man jetzt von dieser oder jener Reliquie zu halten hat, erinnern sie uns stets an etwas sehr Wichtiges. Die Reliquie eines Heiligen sagt uns ja zunächst einmal: Diesen Menschen hat es tatsächlich gegeben. Er war ein Mensch aus Fleisch und Blut wie wir, herausgefordert von Gefährdungen des Lebens und der Sterblichkeit unterworfen.
Von Jesus haben wir solche Reliquien nicht. Er ist auferstanden. Er lebt ganz und gar in der Wirklichkeit des Himmels – auch sein menschlicher Leib. Und doch wollten sich die Gläubigen immer wieder vergewissern: Diesen Jesus hat es wirklich gegeben. Er ist wirklich Mensch geworden – in allem uns gleich außer der Sünde. Darum birgt die römische Marienkirche Santa Maria Maggiore die Reliquien der Krippe Jesu, die sagt: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Und die heilige Kaiserin Helena ließ auch die Überreste des Kreuzes Christi aus Jerusalem nach Rom bringen. Schließlich wird nirgendwo unser Menschsein so deutlich wie bei Geburt und Sterben.
Und eben das wollte der Heiland mit uns teilen. Nur das, was angenommen worden ist, wurde auch erlöst, sagten bereits die Kirchenväter. Darum ist ja der Blick auf das Kreuz Christi so wichtig. Denn das Kreuz sagt: Jesus hat sogar unser Sterben auf sich genommen, damit wir erlöst werden, damit wir im Tod nicht untergehen, sondern zu ihm hinaufgezogen werden, wenn wir glaubend nach ihm unsere Herzen und Hände ausstrecken.
Unsere Zeit meidet das Kreuz. Oft still und schleichend verschwindet es aus Wohnungen und von öffentlichen Plätzen. Es gleicht dem allgemeinen Umgang mit dem Sterben, das wir auszublenden und zu verdrängen suchen – in der Meinung, so könnte man der Wirklichkeit entfliehen. Es ist natürlich, dass wir vor dem Sterben, vor dem Tod und darum auch vor dem Kreuz zurückschrecken. Aber nicht das Verdrängen hilft, sondern der Blick auf den Retter. Jesus ist unseren Tod gestorben. Darum ist selbst in der dunkelsten Stunde des Sterbens nun für immer seine Liebe und sein Licht gegenwärtig. Genau diese Hoffnung kündet das Kreuz. Darum ist es so wichtig und wertvoll.
Ehren wir heute das Kreuz – dankbar für die unfassbare Liebe des Gottessohnes, die wir im Kreuz erkennen. Halten wir am Glauben fest – in der Gewissheit: Jesus ist keine fromme Erfindung. Er ist der Erlöser, der unser Fleisch angenommen hat. Und zeigen wir das Kreuz in unseren Häusern, an unseren Straßen, in unseren Kirchen. Es ist das große Zeichen der Hoffnung, dass durch Christus selbst im Tod Leben zu finden ist. Amen.
17.09.2023, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler