Predigt von Pfarrer Daigeler zum 5. Fastensonntag - Lesejahr A
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, am Grab eines lieben Menschen zu stehen, erschüttert uns. Es ist der Verlust, die Ohnmacht, aber auch das Bewusstwerden der eigenen Vergänglichkeit. All diese Aspekte finden sich in der Trauer. Im Evangelium begegnet uns eine herzliche Szene. Jesus weint am Grab eines Freundes. Lazarus ist gestorben, seine beiden Schwestern tragen sowohl ihre Trauer als auch ihre Fragen an Jesus heran: „Wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben…“
Was Maria und Marta sagen, kennen auch wir. Wir hoffen, dass Krankheit, Trennung, Schmerz oder selbst der Tod an uns und den uns lieben Menschen vorübergehen. Das ist menschlich verständlich, doch es wird nicht eintreten. Auch der Glaube nimmt uns davon nicht aus. Keine fromme Übung wird uns davor bewahren. Das verdeutlicht ja die Zurückhaltung Jesu. Sie befremdet zunächst die Umstehenden, sie befremdet vielleicht auch uns. „Wenn er den Blinden die Augen geöffnet hat“, wie wir es am letzten Sonntag hörten, „hätte er da nicht verhindern können, dass dieser hier stirbt?“
Doch die Wunder Jesu sind keine Bevorzugungen oder Gunsterweise für seine engsten Freunde. Sie „dienen der Verherrlichung Gottes“, wie es Jesus sagt. Doch was meint das? Die Wunder Jesu wollen zu einem größeren Vertrauen führen, zu einem tieferen Glauben. Glaube ist keine Magie, Jesus ist kein Zauberer! Jesus ist gekommen, um uns Gott zu bringen. Jesus ist die Brücke, der Weg zu der größeren Welt Gottes. Jesus ist gekommen, um uns das Vertrauen zu lehren, dass wir in den Stürmen des Lebens getragen sind, selbst wenn wir Schiffbruch erleiden – das Vertrauen, dass seine Liebe uns immer nahe ist, selbst wenn wir schwach oder krank sind. Wer ihm glaubt, der ist nie allein im Leben nicht und auch im Sterben nicht.
Darum ruft Jesus: „Komm!“ „Lazarus, komm heraus.“ Immer wieder begegnet uns in den Evangelien diese Aufforderung Jesu: Komm, folge mir nach. Kommt und seht. Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid… Und dieser Ruf Jesu gilt auch uns, gilt auch mir heute: Komm. Komm auf mich zu. Komm heraus – heraus aus dem, was dich krank macht und niederdrückt. Komm heraus aus deiner Angst. Ja, komm heraus aus deinem Grab. Denn Gräber gibt es nicht nur auf dem Friedhof, es gibt Situation, Ängste und Verletzungen, die uns wie ins Grab bringen. Und überall hin will die ermutigende Stimme Jesu dringen, die sagt: Komm heraus!
Nichts tröstet uns so sehr wie eine vertraute Stimme, denn sie sagt uns auch in bitteren Stunden, dass wir nicht alleine sind. Christsein ist in gewisser Weise die lebenslange Übung, mit der Stimme Jesu vertraut zu werden und zu bleiben. Das ist der Grund, weshalb wir beten oder Gottesdienst feiern. Nicht um dieses oder jenes zu erhalten. Das ist wie die erste Sicht von Maria und Marta, die bitten, dass ihr Bruder und ihre Familie verschont bleiben… Doch es geht um etwas Tieferes. „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sagt Jesus. Wer mir vertraut, der hat das Leben bereits – ein Leben, das keine Macht dieser Welt zerstören kann, nicht einmal der Tod. Diese Macht hat sein göttliches Wort, seine Stimme.
Wenn wir einmal an der Schwelle des Todes stehen werden, müssen wir – so wertvoll die Menschen sind, die uns als Weggefährten begleiten – jede Hand loslassen. Und alle Ängste dieser Welt gründen in dieser „Ur-Angst“ vor dem Verlust jeder Sicherheit. Die wunderbare Zusage unseres Glaubens ist, dass wir dann Seine Stimme hören werden, die sagt: „Komm!“ Wenn wir sie hier kennen gelernt haben, werden wir sie dort erkennen. Und die Brücke dieses Vertrauens wird uns hinüberführen in das Leben in Fülle. Zu dieser Hoffnung will Jesus seine Freunde führen. Diesen Weg ist er selbst gegangen durch das Kreuz in die Auferstehung. Und er ruft uns: „Komm, folge mir nach!“ Amen.
03.04.2022, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler