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Predigt von Pfarrer Daigeler zum 31. Sonntag im Jahreskreis B

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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, nachdem es am vergangenen Sonntag im Evangelium um das rechte Sehen ging, geht es heute um das Hören. Von der menschlichen Entwicklung ist es eigentlich umgekehrt. Schon im Mutterleib nimmt das ungeborene Kind ununterbrochen verschiedene Geräusche wahr. Vor allem hört es dem Herzschlag seiner Mutter, aber auch die Stimme der Mutter. Nach der Geburt können die Babys die helle Stimme der Mutter eindeutig von anderen Frauenstimmen unterscheiden, weil sie die vertraute Klangmelodie der Sprache kennen. Darum fühlt sich das Kind sicher, wenn die Mutter mit ihm spricht. Ein Gottesgeschenk, wenn ein Kind von seiner Mutter angenommen wird und so gestärkt ins Leben hineinwachsen darf. Aber auch bei einem schwerkranken Menschen oder bei einem Sterbenden dringen die Töne vertrauter Menschen über die Ohren noch bis in die Seele. Darum ist es wertvoll bei einem Kranken oder Sterbenden zu sein, mit ihm sprechen und zu beten.

Es wundert daher nicht, dass der biblische Glaube beim Hören ansetzt. „Höre Israel“, beginnt das jüdische Glaubensbekenntnis, das auch Jesus mehrfach am Tag gesprochen hat und das uns im Evangelium heute begegnet. Jesus zitiert dieses Wort aus dem Buch Deuteronomium als Antwort auf die Frage eines Schriftgelehrten. „Welches Gebot ist das erste von allen?“, war die Frage. Und bevor nun detaillierte Anweisungen folgen, ist der erste Auftrag: „Höre!“

Unsere Zeit mit ihrem hohen Tempo und ihren vielen Tönen ist gewiss der Meinung, dass sie hören kann. Wir haben doch viel mehr Kanäle und Sender als die Menschen früherer Generationen. Jeder hält sich für informiert, weil er über ein Smartphone verfügt und beständig Mitteilungen erhält. Aber ist das wirklich „Hören“?

Um wirklich zu hören, muss ich zunächst leise werden, muss ich mir Zeit nehmen hinzuhören. Nicht gleich meinen zu wissen, was der oder die „bestimmt“ wieder sagen wird, was der oder die bestimmt meint… Im geistlichen Leben gibt es Schweigeexerzitien. Das heißt, dass man mehrere Tage nicht spricht, um aufmerksamer Hinzuhören. Es gibt Einsiedler, die sich aus dem Lärm und der Hektik zurückziehen, um achtsam und hellhörig für Gott zu werden.

Das richtige Sprechen lernen wir erst durch das Hören. Unsere leibliche Entwicklung gibt den Weg vor – auch für die geistliche Entwicklung. Ich bin überzeugt, dass wir zuerst das Hören neu lernen müssen, das Hinhören auf Gottes leise Stimme. Sich dafür Zeit zu nehmen, ist die Liebe, von der danach das Gebot spricht. Denn was heißt es denn anderes jemand zu lieben, als für ihn da zu sein? Was heißt es denn Gott zu lieben, als ihm Zeit zu schenken?

Dasselbe gilt für den zweiten Teil des Gebot: die Nächstenliebe. Ein offenes Ohr für den anderen haben, damit beginnt Nächstenliebe, damit beginnt Liebe…Hinhören auf die Stimme des anderen und auf seine Anliegen…

Diese Gottes- und die Nächstenliebe bringen uns in die Nähe des Gottesreiches, sagt Jesus im Evangelium. Freilich wird das in unterschiedlichen Lebensaltern und Situationen unterschiedlich aussehen. Die Älteren haben mehr Zeit und Geduld dafür, darum sollten sie den Jüngeren ein Vorbild im Hören und im Beten sein. Aber auch die Jüngeren brauchen die Übung. „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“. Hören und Beten, Gottes- und Nächstenliebe, das sind keine Theorien, das braucht vor allem Einübung. Nur dann gelingt es. Doch das ist der Weg zum gelungenen Leben für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft. Amen.

31.10.2021, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler

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