Predigt von Pfarrer Daigeler in der Christmette
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, für viele Menschen liegt über diesen Wochen eine Wolke der Verunsicherung. Es ist das eine und scheinbar einzige Thema, wenn wir die Nachrichten hören oder wenn wir mit anderen sprechen: Corona… Keiner bleibt unberührt von diesem Thema. Sei es, dass man Sorge hat um die Gesundheit oder um den Arbeitsplatz, um die wirtschaftliche Existenz, die man sich aufgebaut hat. Und besonders den Eltern und Kindern werden große Einschränkungen zugemutet, deren Folgen für die Entwicklung weitreichend sein werden…
Viele Menschen sehnen sich nach „Normalität“. Und ich gebe zu, das tue ich auch. Aber beim Nachdenken über diese Predigt ist mir aufgefallen, dass dieser Wunsch zwar menschlich verständlich ist, doch ist er realistisch? Was meinen wir mit „normal“?
In dieser Heiligen Nacht hören wir einen der bekanntesten Texte des Neuen Testamentes. Der Evangelist Lukas stellt uns die Geburt Christi vor. Von „Normalität“ ist da wenig zu hören. Maria wird überrascht von der Botschaft des Engels, der ihr sagt, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen soll. Josef muss sich damit erst zurechtfinden, dass er Sorge tragen soll für ein Kind, das nicht sein eigenes ist. Die Schwangere darf mit ihrem Verlobten nicht daheim bleiben, die beiden müssen zu einer Volkszählung in die Davidsstadt Betlehem. Und selbst die Niederkunft findet nicht einmal in einer Herberge statt. Dort finden sie keine Aufnahme. Das Kind kommt in einem Stall zur Welt. Wenig Spuren von „Normalität“…
Und dennoch oder vielleicht gerade deshalb spricht diese Frohe Botschaft seit 2000 Jahren Menschen im Innersten an. Denn sie verstehen, dass sie gemeint sind – wo und wie immer sie leben. Denn diese Frohe Botschaft ist nicht abgehoben oder weltfremd. Sie kennt unser Leben, wie es nun einmal ist – nicht „normal“ und nicht perfekt, nur „menschlich“.
So hören die Frohe Botschaft vom menschgewordenen Gottessohn zuerst die Hirten. Seitdem haben es Menschen in Freud und Leid, in Familien oder Alleinstehende, in Krieg und Frieden, Arme und Reiche, Gesunde und Kranke gehört. Sie hören, was die Engel verkünden: „Fürchtet euch nicht!“ Schaut in die Krippe und erkennt in dem Kind in Windeln den Heiland der Welt, den Immanuel, den Gott-mit-uns. „Christ, der Retter, ist da!“
Unser Heiliger Vater hat in einer Weihnachtsansprache die jüdische Philosophin Hanna Arendt zitiert. Sie hat die Totalitarismen des zwanzigsten Jahrhunderts gesehen und die Abgründe, in die die Diktaturen den Menschen in Kriegen und Konzentrationslagern gebracht haben. Vor dem Hintergrund einer Welt in Trümmern erkennt die Philosophin, von der ich nicht weiß, ob sie gläubig war, die Hoffnungsbotschaft. Sie schreibt: „Das Wunder, das den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und von dem Verderben rettet, ist […] das Geborensein […]. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten […]: ‚Uns ist ein Kind geboren‘“
Eine bessere Botschaft kenne auch ich nicht: „Fürchtet euch nicht, denn ein Kind ist uns geboren“! Diese Frohe Botschaft unseres Glaubens möchte ich am Heiligen Abend mit Ihnen teilen. Gott ist mit uns. Seine Geburt im Stall von Betlehem sagt uns: Ich bin bei euch! Ich will immer bei dir sein, komme was wolle. Ja, wer ihm glaubt, der ist nie allein. Wer dieser Botschaft traut, der hat auch in der Pandemie ein frohes Weihnachtsfest. Amen.
24.12.2020, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler